Einleitung offene Beziehung
Beziehungen sind so vielfältig wie die Menschen, die sie eingehen. Während die monogame Partnerschaft in unserer Gesellschaft lange Zeit als Norm galt, rücken alternative Beziehungsmodelle wie offene Beziehungen immer stärker in den Fokus. Doch was bedeutet es eigentlich, eine offene Beziehung zu führen? Welche Herausforderungen und Chancen bringt dieses Modell mit sich? Und welche psychologischen Aspekte spielen eine Rolle?

Wir am Institut für Beziehungsdynamik
Das Berliner Institut für Beziehungsdynamik, gegründet 2006, bietet im Schwerpunkt Paartherapie, Sexualtherapie und Körperpsychotherapie an.
In diesem Beitrag werfen wir einen tiefgehenden Blick auf das Konzept der offenen Beziehung, seine „Vor- und Nachteile“ sowie die emotionalen Dynamiken, die es mit sich bringt. Wichtig hier ist: Dieser Artikel kennzeichnet keine moralische Haltung oder Bewertung, sondern soll eine Übersicht über gängige Sichtweisen liefern.
Sie suchen Unterstützung im Rahmen einer Einzeltherapie/ Psychotherapie oder Paartherapie? Dann nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.
Was ist eine offene Beziehung?
Eine offene Beziehung ist eine Partnerschaft, in der beide Partner einvernehmlich die Freiheit haben, sexuelle Beziehungen mit anderen Personen außerhalb der Hauptbeziehung einzugehen. Im Gegensatz zur Polyamorie, bei der emotionale und sexuelle Bindungen zu mehreren Personen bestehen können, bleibt in einer offenen Beziehung die emotionale Verbindung meist auf die Hauptpartnerschaft beschränkt. Die individuellen Regeln variieren je nach Paar, doch Ehrlichkeit, Kommunikation und gegenseitiges Vertrauen sind essenzielle Bestandteile einer funktionierenden offenen Beziehung.
Häufigkeit offener Beziehungen
Die Häufigkeit offener Beziehungen variiert je nach Studie und Definition. In einer repräsentativen nationalen Erhebung zur sexuellen Gesundheit und zum Sexualverhalten in den USA gaben im Jahr 2012 rund 4 % der Bevölkerung an, aktuell in einer offenen Beziehung zu leben. Eine Analyse der Daten des U.S. Census aus den Jahren 2013 und 2014 ergab, dass etwa 20 % der amerikanischen erwachsenen Bevölkerung im Verlauf ihres bisherigen Lebens bereits in einer offenen sexuellen Beziehung gelebt haben (Moors, Conley & Edelstein, 2015).
Männer berichten in der Regel häufiger als Frauen, in einer offenen Beziehung zu leben. Des Weiteren variiert die Prävalenz in Abhängigkeit von der sexuellen Orientierung der Befragten: Sie ist am geringsten bei Heterosexuellen (2 %) und Lesben (5 %) und deutlich höher bei Bisexuellen (22 %) und Schwulen (33 %) (Haupert et al., 2017).
Die psychologische Dimension offener Beziehungen

Kommunikation als Schlüssel
Eine offene Beziehung erfordert eine überdurchschnittlich gute Kommunikationsfähigkeit. Partner müssen regelmäßig über ihre Gefühle, Grenzen und Erwartungen sprechen. Dazu gehören:
- Ehrliche Gespräche: Regelmäßige Reflexionen über eigene Bedürfnisse und die der Partnerschaft sind notwendig.
- Festlegung klarer Regeln: Grenzen sind wichtig, um Unsicherheiten und Missverständnisse zu vermeiden.
- Konsequenzen und Anpassungen: Falls einer der Partner sich unwohl fühlt, müssen Vereinbarungen überarbeitet oder neu definiert werden.
Formen Offener Beziehungen
Offene Beziehungen können in verschiedenen Formen gestaltet werden, abhängig von den individuellen Bedürfnissen und Vereinbarungen der Partner*innen. Hier sind einige der häufigsten Varianten:
Sexuelle Freiheit ohne emotionale Bindung
- Sex mit anderen Personen ist erlaubt, aber emotionale Bindungen sollen vermieden werden.
- Kommunikation über sexuelle Kontakte kann variieren: Manche Paare teilen Details, andere nicht.
- Das Hauptaugenmerk bleibt auf der primären Beziehung.
Sexuelle und emotionale Offenheit
- Sowohl sexuelle als auch emotionale Beziehungen mit anderen sind erlaubt.
- Dies kann One-Night-Stands, Affären oder sogar parallele Beziehungen umfassen.
Vertrauen und regelmäßige Kommunikation sind essenziell, um sicherzustellen, dass beide Partner*innen mit der Situation zufrieden sind
Keine Berichterstattung
- Partner*innen haben die Freiheit, mit anderen Sex zu haben, ohne dies dem*der Hauptpartner*in mitzuteilen.
- Diese Variante setzt auf individuelles Vertrauen und minimiert potenzielle Konflikte durch weniger Kommunikation
Swinging
- Paare nehmen gemeinsam an sexuellen Aktivitäten mit anderen teil, oft in einem sozialen oder gruppenbasierten Kontext.
- Emotionale Bindungen zu anderen Personen werden dabei meist ausgeschlossen
Polyamorie
- Im Gegensatz zur offenen Beziehung steht hier die Möglichkeit im Vordergrund, mehrere Liebesbeziehungen gleichzeitig zu führen.
- Polyamorie kombiniert sexuelle und emotionale Offenheit und unterscheidet sich durch die gleichberechtigte Pflege mehrerer Beziehungen
Hier auf unserer Seite findet sich ein weiterführender Artikel zu Polyamorie
Gründe für eine offene Beziehung
In unserer Praxis am Institut für Beziehungsdynamik machen wir in der Regel die Erfahung, dass Mensschen selten eine bewusste Entscheidung treffen pro oder contral eine bestimmte Beziehungsform. Vielfach ist oft eine problematische sexuelle Phase in einer Beziehung der Auslöser für den Wunsch, die eigene Partnerschaft zu öffnen. Oder ein Partner folgt ungeplant einer sexuellen Gelegenheit und findet daraufhin Gefafllen und sucht nach Möglichkeiten, diese Sehnsucht zu integrieren.

Offene Beziehung – potenzielle Beweggründe
Die Entscheidung für eine offene Beziehung kann aus unterschiedlichen Motiven heraus getroffen werden:
- Erweiterung sexueller Erfahrungen: Manche Menschen verspüren das Bedürfnis, sich sexuell weiterzuentwickeln, ohne dabei ihre bestehende Beziehung aufzugeben.
- Persönliche Freiheit: Eine offene Beziehung ermöglicht es den Partner*innen, ihre individuelle Autonomie zu bewahren.
- Realistische Erwartungen: Kein Mensch kann alle Bedürfnisse seines Partners alleine erfüllen. Eine offene Beziehung kann dazu beitragen, realistischere Erwartungen an die Partnerschaft zu stellen.
- Neugier und Experimentierfreude: Manche Paare sehen eine offene Beziehung als Möglichkeit, neue Dinge auszuprobieren und sich selbst besser kennenzulernen.
- Wahrung der Beziehung: Statt eine Beziehung zu beenden, weil das sexuelle Interesse nachlässt oder sich neue Begierden entwickeln, kann eine offene Beziehung ein Kompromiss sein.
Vertrauen und emotionale Sicherheit
Eine offene Beziehung kann das Vertrauen zwischen den Partnern stärken, wenn sie auf Ehrlichkeit und Transparenz basiert. Dazu gehört:
- Regelmäßige Check-ins: Beide Partner sollten sich regelmäßig über ihre Gefühle austauschen.
- Verlässlichkeit: Vereinbarungen müssen respektiert werden, um das Vertrauen nicht zu gefährden.
- Gemeinsame Rituale: Feste Zeiten für Zweisamkeit helfen, die emotionale Verbindung zu bewahren.
Eifersucht und Unsicherheiten
Eifersucht ist eines der häufigsten Themen in offenen Beziehungen. Sie entsteht oft aus:
- Vergleich mit anderen: Der Gedanke, dass der eigene Partner jemand anderen attraktiver finden könnte.
- Angst vor dem Verlust: Die Sorge, dass der Partner sich in eine andere Person verliebt.
- Zweifel an der eigenen Attraktivität oder Kompetenz in der Partnerschaft.
Der Umgang mit Eifersucht erfordert Selbstreflexion und Kommunikation. Anstatt sie zu unterdrücken, empfiehlt es sich, dass sich beide Partner*innen aktiv mit ihren Gefühlen auseinandersetzen. Hier kann es hilfreich sein, sich selbst Fragen zu stellen wie:
- Woher kommt meine Eifersucht?
- Welche Unsicherheiten in mir werden durch die offene Beziehung getriggert?
- Welche Strategien kann ich entwickeln, um mit diesen Gefühlen umzugehen?
Eine therapeutische Auseinandersetzung kann darin bestehen, Eifersucht nicht als „negatives“ Gefühl zu betrachten, sondern als Indikator für emotionale Bedürfnisse. Wer sich eifersüchtig fühlt, sollte diesen Gefühlen auf den Grund gehen und herausfinden, was wirklich dahintersteckt. Geht es um mangelnde Aufmerksamkeit in der Hauptbeziehung? Oder um tiefere Unsicherheiten aus vergangenen Erfahrungen?
Herausforderungen offener Beziehungen
Offene Beziehungen können vielfältige persönliche Entwicklungsprozesse anstoßen. Zu den häufigsten Herausforderungen gehören:
- Ungleiche Bedürfnisse: Wenn ein Partner stärker von der offenen Beziehung profitiert als der andere, kann es zu Spannungen kommen.
- Emotionale Verletzungen: Trotz klarer Regeln können Gefühle verletzt werden, wenn unerwartete emotionale Bindungen entstehen.
- Gesellschaftlicher Druck: Offene Beziehungen sind noch nicht vollständig gesellschaftlich akzeptiert, was zu sozialer Ablehnung führen kann.
- Zeitmanagement: Neben der Hauptbeziehung und anderen Verpflichtungen kann es schwierig sein, neue Partner in den Alltag zu integrieren.