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Wie funktioniert Polyamorie? Die wichtigsten Beziehungsmodelle erklärt

Einleitung

Polyamorie ist eine Beziehungsform, die in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit erhält. Während Monogamie oft als gesellschaftlicher Standard gilt, entscheiden sich viele Menschen bewusst für alternative Beziehungsformen. Doch was genau bedeutet Polyamorie? Welche Modelle gibt es, und wie gestalten sich diese Beziehungen in der Praxis? Dieser Artikel gibt einen verständlichen Überblick über die wichtigsten polyamorösen Beziehungsmodelle und zeigt, wie sie funktionieren.

Polyamorie Berlin

Wir am Institut für Beziehungsdynamik

Das Berliner Institut für Beziehungsdynamik, gegründet 2006, bietet im Schwerpunkt Paartherapie, Sexualtherapie und Körperpsychotherapie an. In Berlin und auch in anderen Städten und Regionen entscheiden sich immer mehr Menschen dazu, eine Beziehungsform zu leben, die nicht unbedingt der gesellschaftlichen Norm entspricht. In Paartherapie und Sexualtherapie zeigen sich dann häufig typische Themen und Fragestellungen, die hier am Ende des Artikels dargestellt und illustriert werden.

Sie suchen Unterstützung im Rahmen einer Einzeltherapie/ Psychotherapie oder Paartherapie? Dann nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.

Herkunft und Bedeutung des Begriffs Polyamorie

Der Begriff Polyamorie ist ein relativ junger Neologismus, der in den frühen 1990er Jahren geprägt wurde. Er setzt sich aus zwei Teilen zusammen:

  • „Poly“ aus dem Altgriechischen, bedeutet „viel“ oder „mehrere“.
  • „Amorie“ vom lateinischen amor, bedeutet „Liebe“.

Die Entstehung des Begriffs wird mehreren Personen zugeschrieben:

  • Morning Glory Zell-Ravenheart popularisierte 1990 in ihrem Artikel „Ein Blumenstrauß von Geliebten“ (A Bouquet of Lovers) die Wortverbindung „poly-amorous“.
  • Jennifer Wesp gründete 1992 die Usenet-Newsgroup „alt.polyamory“, was zur weiteren Verbreitung des Begriffs beitrug.

Obwohl ähnliche Konzepte schon früher existierten, gilt die Veröffentlichung von Morning Glory Zell-Ravenhearts Manifest im Jahr 1990 als Geburtsstunde des gefestigten Polyamorie-Begriffs. In diesem Text definierte sie auch die drei Grundregeln der modernen Polyamorie: Einvernehmlichkeit, Transparenz und Verbindlichkeit.

Es ist erwähnenswert, dass der Begriff vor 1990 gelegentlich in anderen Kontexten auftauchte, jedoch ohne die heutige klare Bedeutung als Beziehungsmodell.

Was ist Polyamorie?

polyamore Beziehung

Polyamorie bedeutet, mehrere romantische und/oder sexuelle Beziehungen gleichzeitig zu führen – mit dem Wissen und der Zustimmung aller Beteiligten. Im Gegensatz zu offenen Beziehungen liegt der Fokus nicht nur auf sexuellen Begegnungen außerhalb einer Partnerschaft, sondern vor allem auf emotionaler Intimität, Transparenz und Gleichberechtigung (Moors et al., 2013).

Wichtige Grundsätze der Polyamorie:

  • Ehrliche Kommunikation: Alle Beteiligten wissen voneinander und stimmen den Beziehungen zu.
  • Gleichwertigkeit: Beziehungen sind oft nicht hierarchisch, sondern basieren auf individueller Verhandlung und Absprache.
  • Stabilität und Vertrauen: Polyamore Beziehungen sind nicht zwangsläufig kurzfristig, sondern oft langfristig angelegt.
  • Offene Gespräche: Regelmäßige Kommunikation über Wünsche, Bedürfnisse und Grenzen hilft, Missverständnisse und Eifersucht zu vermeiden (Garner et al., 2019).
  • Vielseitige Liebe: Polyamorie stellt die Vorstellung in Frage, dass romantische Liebe ausschließlich zwischen zwei Menschen existieren kann (Brunning, 2016).


Polyamorie
erfordert ein hohes Maß an Selbstreflexion, Kommunikation und emotionaler Intelligenz. Eifersucht ist dabei nicht ausgeschlossen, sondern wird als normales Gefühl gesehen, das sich durch Vertrauen und offene Gespräche bewältigen lässt (Mogilski et al., 2019).

Prinzipien und Rituale in polyamoren Beziehungen

Für uns am Institut für Beziehungsdynamisch gibt es keine festen und immer in gleicher Weise zu empfehlende Rituale in Beziehungen und auch in polyamoren Beziehungen.

Auch gilt: Polyamore Beziehungen folgen keinen immer gleichen festen Regeln oder universellen Ritualen. Vielmehr passen sie sich an die Bedürfnisse der Beteiligten an. Hier geht es sehr häufig um Aushandlungsprozesse zwischen zwei oder mehr Menschen, die wir teilweise am Institut für Beziehungsdynamik begleiten.

Polyamorie Paartherapie

Bewährte Prinzipien und Rituale

Auch wenn Polyamore Beziehungen immer sehr individuell und unterschiedlich sind und sich keinen universellen Ritualen verpflichten, gibt es einige bewährte Prinzipien, die von vielen Polyamorösen genutzt werden:

Regelmäßige Gespräche

  • Viele polyamore Paare setzen auf strukturierte Dialoge, bei denen eine Person spricht, während die andere nur zuhört. Sehr bekannt ist hier das sog. Zwiegespräch nach Lukas Möller.
  • Diese Methode hilft, Konflikte zu lösen und Bedürfnisse offen zu äußern, ohne dass es zu Vorwürfen kommt (Lessin et al., 2005)

Individuelle Vereinbarungen

  • Jede polyamore Beziehung braucht klare Absprachen über Erwartungen, Grenzen und Prioritäten.
  • Regelmäßige Überprüfung und Anpassung dieser Vereinbarungen hilft, Missverständnisse zu vermeiden.
  • Gespräche über sexuelle Gesundheit und Safer-Sex-Regeln sind essenziell, um Vertrauen und Sicherheit zu gewährleisten (Shannon & Klausner, 2018).

Spirituelle und emotionale Rituale

  • Einige Menschen nutzen Meditation, bewusste Berührung oder Tantra-Praktiken, um emotionale Verbindungen zu vertiefen.
  • In bestimmten spirituellen Gemeinschaften werden polyamore Werte durch Rituale und Workshops gestärkt.

Feiern und gemeinsame Rituale

  • Viele polyamore Paare entwickeln eigene Rituale, um Jahrestage oder besondere Momente zu feiern.
  • Diese Rituale fördern das Gefühl der Zugehörigkeit und stärken emotionale Bindungen.

 

Polyamorie und persönliche Entwicklung

Viele Menschen oder Paare wählen eine offene Beziehung oder auch eine polyamore Lebensweise in einer bestimmten Lebenssituation oder aus einer Krisensituation heraus. Viele sind mit ihrem bisherigen Beziehungsmodell an die Grenzen gestoßen oder sehnen sich nach persönlicher Entwicklung über die ihnen gesetzten Grenzen heraus.

Für uns am Berliner Institut für Beziehungsdynamik ist eine Beziehungsform keine Lösung an sich. Sich für eine Öffnung zu entscheiden bedeutet eben immer auch, einen zumeist intensiven Entwicklungsweg zu beschreiten, der einen auch mit Schmerz, Unsicherheit und inneren Widersprüchen in Kontakt bringt.

Die wichtigsten Beziehungsmodelle in der Polyamorie

Polyamorie kann auf unterschiedliche Weise gelebt werden. Hier sind einige der häufigsten Modelle, die in der Regel auch so bezeichnet werden. Auch, wenn anzumerken ist, dass das „Etiekett“ einer Beziehung nicht immer den gelebten Beziehungsregeln und der wirksamen Beziehungsdynamik entsprechen.,

Hierarchische Polyamorie

  • Merkmale: Eine Beziehung steht im Mittelpunkt (z. B. Ehepartner:innen), während andere als sekundär gelten.
  • Vorteile: Klare Strukturen und Stabilität für primäre Partner:innen.
  • Herausforderungen: Sekundäre Partner:innen könnten sich weniger wertgeschätzt fühlen (Barker, 2011).

Nicht-hierarchische Polyamorie

  • Merkmale: Alle Partner:innen werden als gleichwertig betrachtet, ohne feste Rangordnung.
  • Vorteile: Mehr Gleichberechtigung und individuelle Entfaltungsmöglichkeiten.
  • Herausforderungen: Erfordert hohe Kommunikationsfähigkeit, um alle Beziehungen zu pflegen (Katz & Katz, 2021).

Polyküle

  • Merkmale: Ein Netzwerk miteinander verbundener Beziehungen, das familiäre oder freundschaftliche Strukturen haben kann.
  • Vorteile: Unterstützendes Beziehungsnetzwerk, emotionale Sicherheit.
  • Herausforderungen: Kommunikation und Koordination sind oft komplex (Wood et al., 2021).

Beziehungsanarchie

  • Merkmale: Keine festen Regeln oder Hierarchien – jede Verbindung wird individuell definiert.
  • Vorteile: Maximale Freiheit, keine starren Erwartungen.
  • Herausforderungen: Kann instabil sein und erfordert emotionale Reife (Sheff, 2014).

Was sind häufige therapeutische Themen in polyamoren Beziehungen?

In polyamoren Beziehungen gibt es einige wiederkehrende therapeutische Themen, die in der Beratung oder Therapie oft zur Sprache kommen. Diese Themen betreffen sowohl individuelle als auch partnerschaftliche Herausforderungen. Hier sind die häufigsten Aspekte:

Eifersucht und Unsicherheiten

Auch wenn Polyamorie grundlegens auf Transparenz und Vertrauen basiert, kann Eifersucht auftreten. Therapeutisch wird oft daran gearbeitet, Unsicherheiten zu erkennen und in konstruktive Kommunikation umzuwandeln. Mit Eifersucht haben wir am Institut für Beziehungsdynamik oftmals in unseren paartherapeutischen Sitzungen bei polyamoren Konstellationen zu tun.

Werkzeuge: Selbstreflexion, Emotionsregulation, Kommunikationstechniken (z. B. Jealousy Workbook von Franklin Veaux).

Kommunikation und Konfliktlösung

Offene und wahrhaftige Kommunikation ist essenziell, um Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden.

Partner*innen haben oft unterschiedliche Bedürfnisse, Erwartungen und Grenzen, die regelmäßig besprochen und angepasst werden müssen.

Methoden, die viele polyamore Konstellationen nutzen: Gewaltfreie Kommunikation (GFK), Paar- oder Gruppengespräche, Mediationstechniken.

Zeitmanagement und Prioritäten

Selten in Paartherapie oder Beziehungstherapie zeigt sich dieses Themenfeld explizit. Dennoch berichten viele polyamor lebende Menschen von diesen Herausforderungen. Mehrere Beziehungen bedeuten oft einen hohen organisatorischen Aufwand.

Zeit und Aufmerksamkeit müssen gerecht verteilt werden, ohne dass jemand sich vernachlässigt fühlt.

Lösungsansätze: Gemeinsame Terminplanung, Quality Time, individuelle Prioritätenklärung.

Beziehungshierarchien und Erwartungen

Hierarchische vs. nicht-hierarchische Polyamorie kann zu Spannungen führen.

Primär- und Sekundärbeziehungen können mit ungleichen Machtverhältnissen oder Erwartungen verbunden sein.

Therapeutische Interventionen: Werteabgleich, Beziehungsverträge aushandeln, Verhandlung von Regeln und Strukturen.

Stigmatisierung und gesellschaftlicher Druck

Polyamor lebende Menschen erleben häufig Vorurteile oder Ablehnung durch Familie, Freunde oder den Arbeitsplatz.

Das Verstecken oder Outing der Beziehungsform kann zu Stress und Identitätskonflikten führen.

Bindungstheorie und Verlustängste

Individuelle Bindungsmuster beeinflussen, wie Menschen mit Polyamorie umgehen.

Ängstlich gebundene Personen können sich in polyamoren Beziehungen unsicher fühlen.

Kinder und Familienplanung

Wie werden Kinder in polyamore Familienmodelle integriert?

Umgang mit rechtlichen und sozialen Herausforderungen.

Beratungsschwerpunkte: Elternkommunikation, familiäre Identität, Einbindung des Umfelds.

Beziehungsübergänge und Trennungen

Trennungen in polyamoren Netzwerken können komplexer sein als in monogamen Beziehungen.

Veränderungen in der Beziehungsdynamik (z. B. neue Partner:innen, veränderte Lebensumstände) erfordern Anpassungen.

Mögliche Unterstützung: Trennungsbegleitung, Ressourcenstärkung, Neudefinition von Rollen.

Fazit

Polyamorie ist eine vielfältige Beziehungsform, die Menschen neue Wege eröffnet, Liebe und Nähe zu erleben. Während es Herausforderungen wie gesellschaftliche Vorurteile und organisatorische Komplexität gibt, zeigen Studien, dass polyamor lebende Menschen oft eine hohe Beziehungszufriedenheit haben. Offene Kommunikation, klare Absprachen und emotionale Reflexion sind wesentliche Erfolgsfaktoren für diese Art der Beziehung.

Oftmals ist allerdings die Erfahrung, dass diese Beziehungsdynamik nicht „funktioniert“, sondern eher intensive Entwicklungsprozesse fördert und die Beteiligten an ihre Grenzen führt.