Vorzeitige Ejakulation, lateinisch ejaculatio praecox genannt, ist die häufigste sexuelle Problematik bei Männern unter 60 Jahren.
In Bezug auf die Prävalenz gibt es verschiedene Aussagen: einige Studien beziffern, dass bis zu 30% aller Männer zeitweise oder regelmäßig von der Problematik vorzeitiger Ejakulation betroffen sind. Erst ab dem Alter von 60 Jahren wird EP statistisch von der Erektilen Dysfunktion (Erektionsstörung) abgelöst.
In diesem Beitrag will ich diese Problematik, die mit massivem Leiden für Betroffene und deren Partner*innen einhergeht, vorstellen und Strategien für mehr Kontrolle und Zufriedenheit skizzieren.
Hinweis: Ich habe in 2023 ein Buch zum Thema veröffentlicht. Das Buch mit dem Titel „Lust statt Frust – vom vorzeitigen Samenerguss zu einer erfüllten Sexualität“ ist bei Goldmann/ Randomhouse erschienen.
Vorzeitige Ejakulation ist für betroffene Männer emotional extrem belastend
Oft wird unterschätzt, wie belastend vorzeitige Ejakulation für betroffene Männer ist. Viele berichten von Selbstvorwürfen und Selbstbezichtungen, wenn sie früher gekommen sind als gewünscht. Einige Männer fallen nach dem zu frühen Kommen in tagelange, depressive Zustände.
Und was in der Praxis besonders auffällig ist: die meisten Männer, die von vorzeitiger Ejakulation betroffen sind, finden kaum Worte für ihr inneres Leiden. Sie sind stumm und leiden für sich, ohne Möglichkeit, sich Partner oder Partnerin mitzuteilen.
Und dies zeigt sich bei Männern auch unabhängig von ihrem sonstigen sprachlichen Ausdrucksvermögen. Viele betroffene Männer kommen aus beruflichen Positionen, die Eloquenz und Kompetenzen erfordern – geht es allerdings um das Sprechen über die eigenen sexuellen Probleme, dann verlieren sie jeglichen Zugang zu den eigenen Fähigkeiten.
Was sind die Kriterien für vorzeitige Ejakulation?
Vorzeitiger Samenerguss wird in der Regel anhand von drei Hauptkriterien diagnostiziert:
- Zeitkriterium: Der Ejakulationsakt erfolgt regelmäßig innerhalb einer Minute nach dem Eindringen und vor dem Wunsch des Mannes, zu ejakulieren. Dieser kurze Zeitrahmen kann jedoch je nach kulturellen oder individuellen Erwartungen stark variieren. Selbstverständlich misst kein Mann beim Sex mit der Stoppuhr, so dass die Einschätzung rein subjektiv erfolgt.
- Kontrollkriterium: Der Mann hat das Gefühl, keine ausreichende Kontrolle über den Zeitpunkt der Ejakulation zu haben. Er kann nicht verzögern, wann er ejakuliert, selbst wenn er dies möchte.
- Leidensdruck: Der vorzeitige Samenerguss führt zu persönlichem Leidensdruck, Stress oder zwischenmenschlichen Problemen, wie Beziehungsproblemen oder geringem Selbstwertgefühl.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Schwere und Häufigkeit des vorzeitigen Samenergusses variiert. Gelegentliche Vorfälle können normal sein, während wiederholte Episoden, die das Sexualleben beeinträchtigen, auf ein ernsthaftes Problem hinweisen können.
Grundlegend bei sexuellen Störungen ist, dass die Problematik bei mindestens 75% der sexuellen Interaktionen vorkommen sollte und mindestens seit sechs Montagen vorherrschen sollte, um sie als „sexuelle Störung“ zu bezeichnen.
Außerdem sollte die Problematik nicht auf aktuelle Schwierigkeiten wie Stress in der Beziehung oder im Beruf zurückzuführen sein.
Sind diese Kriterien nicht erfüllt, dann bedeutet dies natürlich nicht, dass ein betroffener Mann keine Störung hat, denn schließlich kann er sich trotzdem stark „gestört“ fühlen. Wir begleiten ihn dann selbstverständlich im Rahmen einer Sexualtherapie.
Was sind die Ursachen für vorzeitige Ejakulation?
Fokussieren wir auf potenzielle Ursachen von vorzeitiger Ejakulation, dann wird es in der Literatur zumeist recht schwammig. Je nachdem, aus welcher psychotherapeutischen Perspektive man das Problem vorzeitiger Ejakulation betrachtet, wird man andere Ursachen benennen.
Psychoanalytiker oder eine Psychoanalytikerin würde vielleicht verdrängte Konflikte in einer kindlichen Entwicklungsphase vermuten, während eine Verhaltenstherapeutin oder ein Verhaltenstherapeut wahrscheinlich auf dysfunktional verkoppelte Kognitionen und Verhaltensweisen fokussieren würde.
Unterschiedliche Störungskonzepte würden sich selbstverständlich auch in entsprechenden Heilungskonzepten ausdrücken. Das heißt, dass jede psychotherapeutische Schule anders vorgeht, da sie auf einer bestimmten Störungstheorie fußt.
Einigkeit im Bereich der Sexualwissenschaften besteht darin, dass jede sexuelle Störung multifaktoriell bedingt ist. Es fließen üblicherweise biologische, soziale und psychologische Ursachen Faktoren ein.
Die Suche nach den Ursachen von vorzeitiger Ejakulation ist wenig hilfreich
Aus unserer Perspektive ist die Suche nach dem „Warum“ einer sexuellen Störung wenig hilfreich. Selbst wenn wir eine Ursache finden würden, haben wir im Rahmen einer Sexualtherapie wenig gewonnen. Schließlich geht es darum, im Hier und Jetzt annehmen und überwinden zu können, was innerlich belastet und im lebendigen Ausdruck einschränkt.
Die Fokussierung auf Gründe und Ursachen fördert oft eine kognitive Auseinandersetzung mit den inneren Konflikten, anstatt Kontakt zu bisher weniger gehörten inneren Anteilen zu stiften. Dies halten wir im Rahmen der Beziehungsdynamischen Paar- und Sexualtherapie allerdings für unverzichtbar, will man eine sexuelle Störung überwinden.
Wie ist die Therapie bei vorzeitiger Ejakulation?
In der Beziehungsdynamischen Sexualtherapie geht es vorrangig darum, Kontakt zur eigenen Innenwelt zu stiften und diejenigen Aspekte zu akzeptieren und zu integrieren, die zuvor verdrängt und abgewiesen wurden.
Wir am Berliner Institut für Beziehungsdynamik gehen davon aus, dass diejenigen Aspekte und inneren Anteile, die wir ablehnen und aus der Kommunikation mit uns und anderen ausschließen, unser Verhalten und unsere Sexualität maßgeblich beeinflussen.
In diesem Sinne explorieren wir die Innenwelt und das innere Erleben und laden unsere Klientinnen und Klienten dazu ein, sich und ihre bisher übersehenen inneren Anteile aus neuer und wertschätzender Perspektive wahrzunehmen.
In der Regel werden dadurch neue Gestaltungsräume eröffnet, unsere Klientinnen und Klienten gewinnen mehr Wahlfreiheit im Handeln und Erleben.
Spezialisiert auf der Behandlung von Männern mit vorzeitiger Ejakulation
Ziel unserer sexualtherapeutischen Arbeit ist es, dass betroffene Männer sich selbst besser verstehen lernen und die eigenen, inneren Widersprüche akzeptieren und auch überwinden können. Unserer Erfahrung nach sind es oftmals auch die aggressiven Regungen, die bei Männern, die unter vorzeitiger Ejakulation leiden, tabuisiert sind.
Sind diese tabuisiert, dann bedeutet das nicht gleichzeitig, dass sie nicht (mehr) da und wirksam sind. Oftmals zeigt sich in der Beziehungs- und Alltagswelt betroffener Männer, dass sich die entsprechenden aggressiven und zumeist unerwünschten Regungen subversiv ausdrücken.
Manchmal entziehen sich betroffene Männer durch passiven Widerstand, durch inneren Rückzug und Trotz drohenden Konflikten und Auseinandersetzungen im Beziehungsalltag.
Hier gilt es, einen Zugang zu den verdrängten Impulsen zu gewinnen, damit auch die darin gebundene Kraft genutzt werden kann.
Was kann ein Mann tun, wenn er unter vorzeitiger Ejakulation leidet?
Da die meisten betroffenen Männer große Schwierigkeiten haben, über sich und ihre Schwierigkeiten, besonders ihre sexuelle Problematik, zu sprechen, ist der erste Schritte folgender:
Ein betroffener Mann sollte die Hemmungen überwinden und beginnen, sein Schweigen zu brechen. Das ist zumeist leichter gesagt als getan. Wie kann Mann damit beginnen?
Ein erster Schritt kann hierbei beispielsweise sein, sich einem Freund/ einer Freundin oder einem vertrauten Bekannten anzuvertrauen. Manchen Männern fällt es bei Freundinnen und Freunden leichter, sich mit ihren vermeintlichen Schwächen zu zeigen, als bei Liebespartner*innen.
Manchmal fällt dann im Gespräch auf, dass es anderen Männern ähnlich oder sogar genauso geht. Dies kann sehr entspannend und verbindend wirken. Manche betroffene Männer fragen sich nach dem ersten Offenbaren, warum sie sich solange bedeckt gehalten haben und ihre Schwierigkeiten mit sich selbst ausgemacht haben.
Auch wenn es besonders unter Männern nicht gerade an der Tagesordnung ist, sich mit seinen eigenen und vermeintlichen Schwächen mitzuteilen, so ist die Erleichterung und Überraschung in der Regel wird dieser Schritt zumeist mit großer Erleichterung und Verbundenheit belohnt.
Ist es erst einmal gelungen, sich Freunden oder Bekannten mitzuteilen, dann ist der Schritt nicht mehr so groß, sich Liebespartner*innen anzuvertrauen. Insbesondere dann, wenn es um Sexualität geht, lässt sich der eigene innere Druck minimieren, wenn man ein wahrhaftiges und offenes Gespräch führt.
Als betroffener Mann könnte man dann beispielsweise sagen, dass man zumeist leicht zu erregen ist, dazu neigt früher zu kommen als gewünscht und dass man sich deswegen einen langsamen Start und ein achtsames erotisches Herantasten wünscht. Viele betroffene Männer befürchten hier, dass dies abträglich sein könnte, die eigene Attraktivität schmälert oder gar „unmännlich“ wirken könnte.
Das Gegenteil ist allerdings der Fall: Oft beschreibt die Partnerin oder der Partner, dass auf Grundlage eines solchen Gespräches Entspannung und gegenseitige Achtsamkeit Platz finden. Partnerinnen oder Partner fühlen sich durch eine solche Selbstoffenbarung respektiert, schließlich werden sie dadurch ins Vertrauen genommen und man bringt ihnen einen Vertrauensvorschuss entgegen.
Dies berührt zumeist und führt zu einem Mehr an Verbundenheit und Partnerschaftlichkeit.
Deutlich wird hier, dass betroffene Männer oft eine eher fragwürdige Vorstellung vermeintlicher Männlichkeit mitbringen und sich daran messen, ohne diese Maßgaben jemals hinterfragt zu haben.
Im Rahmen einer Beziehungsdynamischen Sexualtherapie reflektieren wir eben diese verinnerlichten Männer-, Menschen- oder auch Selbstbilder und unterziehen sie einer kritischen Prüfung.
Hinzu kommt, dass Männer, die unter sexuellen Störungen leiden, oftmals so „verstockt“ wirken, dass ihnen jegliche Selbstbeschreibungen und Offenbarungen schwerfallen. Im Rahmen einer Sexualtherapie gilt es, diesen Zugang zum inneren Erleben zu schaffen und den Ausdruck emotionaler Zustände einzuüben.
Effektive Übungen bei vorzeitiger Ejakulation
Viele Ratgeber und Internetseiten empfehlen Übungen zum Überwinden vorzeitiger Ejakulation. Üblicherweise werden hier die Kegelübung, die Stopp-Start-Methode, die Teasing-Technik oder auch andere zumeist körperliche Übungen genannt.
Kritisch sehe ich, dass hier manchmal der Eindruck entsteht, als müsse man nur diese Übungen absolvieren, um dann zwangsläufig eine Lösung für das zu-frühe-Kommen zu finden.
In der Beziehungsdynamischen Sexualtherapie stehen uns ebenfalls vielfältige Übungen und Selbstreflexionsaufgaben zur Verfügung. Im Fokus unserer Aufmerksamkeit steht allerdings die Haltung.
Die innere Haltung ist entscheidend
Die Haltung, mit der ein betroffener Mann eine Übung absolviert, ist entscheidend für den Erfolg. Die innere Perspektive, die ein Mann, der unter ejaculatio praecox leidet, einnimmt, entscheidet maßgeblich über das Erleben von Kompetenz und Spielfreude oder Impotenz und Starre in der Sexualität.
Und so erkunden wir in der Beziehungsdynamischen Sexualtherapie zunächst, welcher Haltung ein betroffener Mann einnimmt, ohne es vielleicht bewusst wahrzunehmen und willkürlich beeinflussen zu können.
Außerdem sensibilisieren wir dafür, welche Auswirkungen dies auf seiner Körperwahrnehmung und sein emotionales Erleben hat. Erst dann, wenn die entscheidenden Haltungsaspekte exploriert worden sind, können effektive körperliche Übungen schnell und nachhaltig zum Erfolg führen.
In meinem Buch Lust statt Frust, das 2023 im Goldmann-Verlag erschienen ist, werden die Beziehungsdynamische Perspektive und die Beziehungsdynamische Sexualtherapie auf das Problem vorzeitiger Ejakulation ausführlich dargestellt und anhand von Fallbeispielen illustriert.
Im letzten Teil des Buches finden sich außerdem effektive und erfahrungsorientierte Übungen, die betroffene Männer in eigener Regie oder auch therapeutisch begleitet durchführen können.