Asexualität verstehen: Wenn sexuelle Anziehung keine Rolle spielt

Einleitung Asexualität

Asexualität gilt als eine sexuelle Orientierung, bei der ein Mensch keine oder nur sehr geringe sexuelle Anziehung gegenüber anderen Menschen empfindet. In einer Gesellschaft, in der Sexualität oft als zentrales Element von Identität, Beziehung und Gesundheit gilt, wirkt das für viele ungewöhnlich – oder sogar irritierend.

Viele Menschen, die sich als asexuell erleben und beschreiben, vermissen nichts und erleben in der Regel eher dann Leidensdruck, wenn sie das Gefühl haben, unter einem gewissen gesellschaftlichen oder partnerschaftlichen Druck zu stehen. 

Asexualität

Wir am Institut für Beziehungsdynamik

Das Berliner Institut für Beziehungsdynamik, gegründet 2006, bietet im Schwerpunkt Paartherapie, Sexualtherapie und Körperpsychotherapie an.

In unseren Sitzungen geht es darum, mit Menschen, die den Kontakt zu ihrer Sexualität verloren haben, zu unterstützen, sich selbst besser kennen- und verstehenzulernen. In diesem Zusammenhang begleiten wir auch Menschen, die sich entweder zeitweise als lustlos oder auch als asexuell erleben.

Sie suchen Unterstützung im Rahmen einer Einzeltherapie/ Psychotherapie oder Paartherapie? Dann nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.

Wie viele Menschen sind asexuell?

Die oft zitierte und erste größere Studie zur Asexualität stammt von Anthony F. Bogaert (2004). Er untersuchte Daten aus der britischen „National Survey of Sexual Attitudes and Lifestyles“ (NATSAL) und fand:

🧠 Etwa 1 % der erwachsenen Bevölkerung gab an, noch nie sexuelle Anziehung gegenüber einer anderen Person empfunden zu haben.
👉 Bogaert, A. F. (2004). Asexuality: prevalence and associated factors. Journal of Personality and Social Psychology, 88(2), 292–307.

Diese Zahl wird bis heute häufig als Richtwert verwendet. Allerdings:

Warum die tatsächliche Zahl höher sein könnte

  1. Fehlende Begriffe: Viele Menschen wissen gar nicht, dass es Asexualität als Orientierung gibt. Sie ordnen ihr Erleben deshalb nicht unter diesem Begriff ein.
  2. Stigmatisierung: Weil Sex gesellschaftlich als „normal“ gilt, scheuen sich manche, ihre Asexualität offen zu benennen – auch in anonymen Umfragen.
  3. Breites Spektrum: Wer z. B. demisexuell oder gray-asexuell ist, fällt bei enger Definition nicht unter „asexuell“, obwohl das eigene Erleben sehr ähnlich ist.
  4. Neue Daten: In neueren, onlinebasierten Studien und Community-Befragungen liegt der Anteil von Menschen, die sich selbst als asexuell identifizieren, zwischen 1 und 4 %, teils sogar höher unter jungen Erwachsenen.

 

Prävalenz von Asexualität in verschiedenen Kontexten

  • USA (AVEN Community 2022): Schätzungen aus Online-Umfragen zeigen, dass bis zu 3–4 % junger Menschen unter 30 sich dem asexuellen Spektrum zuordnen.
  • Kanada (Rotenberg 2015): In der Studie der Public Health Agency of Canada gaben 1,5 % der befragten Jugendlichen an, asexuell zu sein.
  • Deutschland: Eine spezifische, groß angelegte repräsentative Erhebung fehlt bisher – erste Umfragen deuten auf ähnliche Werte wie in UK oder Kanada hin.

Ist Asexualität eine Krankheit oder psychische Störung?

Asexualität Störung

Nein. Asexualität ist keine Störung, kein Symptom und keine Reaktion auf ein Trauma. Sie wird von Fachverbänden wie der American Psychological Association und der WHO (im Rahmen der ICD-11) nicht als behandlungsbedürftig eingestuft.

Zwar kann fehlendes sexuelles Interesse auch als Folge von psychischen Belastungen, Stress oder hormonellen Störungen auftreten – dann sprechen Fachleute aber von sekundärer sexueller Lustlosigkeit, nicht von Asexualität.

🧠 Studien zeigen: Asexuelle Menschen sind nicht häufiger psychisch belastet als andere Gruppen. Die größte Belastung entsteht meist erst durch soziale Stigmatisierung oder Missverständnisse (Decker, 2015).

Was bedeutet es, asexuell zu sein?

Asexuelle Menschen verspüren dauerhaft keine sexuelle Anziehung – unabhängig vom Geschlecht oder Aussehen anderer Personen. Manche erleben dennoch sexuelle Lust, masturbieren oder haben gelegentlich Sex – allerdings meist ohne das Bedürfnis nach sexueller Interaktion mit anderen.

Asexualität ist nicht dasselbe wie Enthaltsamkeit, Libidoverlust oder eine Phase ohne sexuelles Interesse. Asexualität wird in der Regel als eine grundsätzliche, stabile Orientierung beschrieben – vergleichbar mit Hetero-, Homo- oder Bisexualität.

Wichtige Begriffe im Kontext von Asexualität

Asexualität ist ein Spektrum. Innerhalb dieser Orientierung gibt es viele individuelle Unterschiede. Die wichtigsten Begriffe im Überblick:

  • Asexuell: Keine oder sehr geringe sexuelle Anziehung gegenüber anderen Menschen.
  • Demisexuell: Sexuelle Anziehung wird nur in sehr engen, emotionalen Bindungen empfunden.
  • Gray-asexuell (Gray-Ace): Seltene oder situationsabhängige sexuelle Anziehung.
  • Aromantisch: Keine romantische Anziehung (dies ist unabhängig von sexueller Orientierung).
  • Libido: Asexuelle Menschen können eine Libido haben – sie richtet sich nur nicht auf andere.

 

Diese Vielfalt zeigt: Nicht alle asexuellen Menschen leben zölibatär oder ohne Nähe. Sie gestalten ihre Beziehungen ganz individuell – manche führen romantische Partnerschaften, andere leben allein oder in platonischen Lebensgemeinschaften.

Wie erkenne ich, ob ich asexuell bin?

Asexualität ist keine Diagnose – sondern eine Selbstdefinition. Niemand außer dir selbst kann festlegen, ob du asexuell bist oder nicht. Dennoch können dir diese Fragen helfen, Klarheit zu finden:

  • Hast du jemals sexuelle Anziehung gegenüber jemandem gespürt?
  • War sexuelle Lust bei dir immer schon selten oder gar nicht vorhanden?
  • Hast du dich schon einmal gefragt, warum andere so viel über Sex sprechen – und du kaum etwas dabei empfindest?
  • Vermisst Du nichts in Bezug auf Sex und leidest dementsprechend auch nicht darunter, keine Lust zu verspüren?

 

Wie leben asexuelle Menschen?

Es gibt keine „typische“ Lebensweise für asexuelle Menschen. Manche leben in Beziehungen – romantisch oder platonisch –, andere bevorzugen ein Leben allein oder in engen Freundschaften. Manche asexuelle Personen haben Sex (z. B. ihrem Partner zuliebe), andere entscheiden sich bewusst dagegen.

Einige gestalten alternative Beziehungsformen wie „Queerplatonic Relationships“ – besonders tiefe, nicht-romantische Bindungen, die klassische Freundschaften übersteigen, aber nicht sexuell geprägt sind.

Das Entscheidende ist: Es gibt keinen richtigen oder falschen Weg. Asexuelle Menschen sind genauso beziehungsfähig, emotional tiefgründig und liebevoll wie jede andere Gruppe auch.

Wann wird Asexualität zum Problem?

asexuelle Menschen geben oft an, selbst keine sexuellen Reize oder Begierden zu vermissen und auch keinen Leidensdruck zu verspüren.

Damit handelt es sich auch nicht um eine behandlungsrelevante psychisch-sexuelle Störung.

Dennoch führt Asexualität häufig zu Problemen in Beziehungen und sozialen Kontexten – vor allem dann, wenn eine asexuelle Person eine Partnerschaft mit einer sexuellen Person eingeht. Viele asexuelle Menschen suchen auch unserer Unterstützung auf, weil sie dem Eindruck unterliegen, nicht „normal“ zu sein und einem gewissen Druck von Außen zu unterliegen. 

Asexualität Sexualtherapie

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Asexualität in der Beziehung – ein Sonderfall?

Wenn eine*r in einer Beziehung asexuell ist und der oder die andere nicht, kann das zu Spannungen führen – vor allem, wenn das Thema tabuisiert wird. Immer dann, wenn Menschen in Liebesbeziehungen unterschiedliche sexuelle Bedürfnisse haben, kann dies zu Konflikten führen. In solchen Fällen ist Kommunikation besonders wichtig. Daher:

  • Redet offen über eure Bedürfnisse – ohne Schuld oder Vorwürfe.
  • Überlegt gemeinsam, ob alternative Modelle (z. B. offene Beziehung, individuelle Vereinbarungen) eine Option sind.
  • Holt euch ggf. Unterstützung durch Paarberatung oder Sexualtherapie.

 

Information & Aufklärung

Viele asexuelle Menschen erleben Einsamkeit, Missverständnisse oder gesellschaftlichen Druck. Aussagen wie „Du hast nur noch nicht die richtige Person getroffen“ oder „Das ist doch unnatürlich“ können verletzend sein und die Selbstakzeptanz erschweren.

Sex ist eine Option und keinesfalls eine Verpflichtung und es kann sehr hilfreich sein, von Menschen zu erfahren, die ohne sexuelle Regungen und Gelüste ein sehr befriedigendes Lebens führen.

Weiterführende Informationen und Community

Wenn du dich über Asexualität informieren oder austauschen möchtest, findest du hier seriöse Anlaufstellen: