Angst vor Intimität
Von außen sieht es oft ganz einfach aus: Zwei Menschen treffen sich, fühlen sich zueinander hingezogen, werden ein Paar, teilen Nähe – körperlich und emotional. Doch sobald wir selbst mitten in so einem Prozess stehen, merken wir: Intimität kann ganz schön kompliziert sein. Warum fällt es vielen Menschen so schwer, sich wirklich einzulassen? Warum sabotieren wir manchmal genau das, was wir uns am meisten wünschen – nämlich emotionale Nähe?

Wir am Institut für Beziehungsdynamik
Das Berliner Institut für Beziehungsdynamik, gegründet 2006, bietet im Schwerpunkt Paartherapie, Sexualtherapie und Körperpsychotherapie an.
In unseren Sitzungen geht es darum, mit Menschen, die den Kontakt zu ihrer Sexualität verloren haben, zu unterstützen, sich selbst besser kennen- und verstehenzulernen. Ein sehr häufiges Thema in Paartherapie und Beziehungstherapie ist Angst vor Nähe oder Bindungsangst – insbesondere bei Intimität sehen sich viele Menschen mit inneren Widersprüchen konfrontiert.
Sie suchen Unterstützung im Rahmen einer Einzeltherapie/ Psychotherapie oder Paartherapie? Dann nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.
Was ist Intimität eigentlich – und warum ist sie so kostbar?
Intimität hat viele Gesichter. Manche denken bei dem Wort sofort an Sexualität – dabei meint Intimität viel mehr. Es geht um das Gefühl, sich jemandem zeigen zu können, wie man ist. Ohne Maske. Ohne Schutzschild. Mit allem, was dazugehört: Unsicherheiten, Sehnsüchten, Ängsten, Schwächen.
Das kann körperlich sein – muss es aber nicht. Ein tiefer Blick, ein ehrliches Gespräch, eine stille Umarmung können intimer sein als viele Nächte im Bett. Emotionale Intimität entsteht, wenn wir jemanden berühren – nicht nur mit der Hand, sondern mit dem Herzen.
Und genau darin liegt auch der Grund, warum wir sie oft vermeiden: Denn wer sich zeigt, macht sich verletzlich.
Was ist Intimität?

Definition von Intimität
Intimität bezeichnet einen Zustand der besonderen Nähe und Vertrautheit zwischen Menschen. Sie kann sowohl emotionaler als auch körperlicher Natur sein und umfasst das Gefühl, sich einem anderen Menschen gegenüber öffnen, zeigen und verletzlich machen zu können, ohne Angst vor Ablehnung oder Verurteilung zu haben
Intimität nach David Schnarch
David Schnarch, ein einflussreicher Sexual- und Paartherapeut, definiert Intimität grundlegend anders als viele traditionelle Ansätze. Für ihn steht nicht die Verschmelzung oder das Aufgehen in der Partnerschaft im Vordergrund, sondern die Fähigkeit, in einer engen Beziehung die eigene Identität und Individualität zu bewahren. Schnarch nennt diesen Prozess Differenzierung,
Intimität nach David Schnarch ist ein aktiver, mutiger Prozess: Sie entsteht, wenn beide Partner*innen bereit sind, sich selbst treu zu bleiben und sich dennoch füreinander zu öffnen. Es geht weniger um Verschmelzung, sondern darum, als eigenständige Individuen in Beziehung zu treten – und gerade dadurch tiefere Nähe und Leidenschaft zu erleben.
Differenzierung als Schlüssel zur Intimität
Schnarch beschreibt Differenzierung als die Fähigkeit, in enger Verbindung mit dem Partner/ der Partnerin zu leben und dennoch ein eigenständiges Selbst zu behalten. Intimität entsteht nach seiner Auffassung nicht durch das Aufgeben des eigenen Selbst, sondern durch das „Festhalten an sich selbst“ – auch in Konflikten oder schwierigen Situationen
„Intime Verbindung mit einem Partner erfordert zuerst eine solide Verbindung zu sich selbst. […] Es ist die Entwicklung der eigenen Identität – eines inneren Selbstwerts, das man schätzt, pflegt und lebt –, die zu größerem sexuellem Genuss und Intimität führt.“
Die vier Kernpunkte der Differenzierung (Crucible 4 Points of Balance)
Schnarch übersetzt Differenzierung in vier praktische Prinzipien:
- Solides, flexibles Selbst: Ein stabiles Selbstbild und eigene Werte, die unabhängig von der Bestätigung durch den Partner bestehen.
- Ruhiger Geist & gelassenes Herz: Die Fähigkeit, eigene Emotionen zu regulieren und sich selbst zu beruhigen.
- Geerdetes Reagieren: Nicht impulsiv oder reaktiv auf den Partner zu reagieren, sondern besonnen und reflektiert zu bleiben.
- Sinnvolle Ausdauer: Die Bereitschaft, Unannehmlichkeiten oder Schmerz auszuhalten, um persönliches und partnerschaftliches Wachstum zu ermöglichen.
Selbstvalidierte Intimität
Echte Intimität nach Schnarch bedeutet, sich dem Partner wirklich zu zeigen – mit dem Risiko, nicht bestätigt oder sogar abgelehnt zu werden. Es geht darum, sich nicht von der Bestätigung des Partners abhängig zu machen, sondern sich selbst zu validieren und dennoch Nähe zuzulassen.
„Ich will nicht, dass du mich ablehnst – aber ich muss es riskieren, wenn ich mich bei dir wirklich angenommen und geborgen fühlen möchte.“
Nähe macht Angst – und das hat Gründe
Vielleicht kennen Sie du das: Sie lernen jemanden kennen, fühlen sich verbunden, alles scheint gut. Doch je näher es wird, desto unruhiger werden sie. Sie ziehem sich zurück, werden kritisch, suchen nach Fehlern – oder flüchten in oberflächliche Ablenkung. Intimität kann Angst machen.
Das ist kein Zeichen von Schwäche oder Beziehungsunfähigkeit – sondern oft ein Hinweis auf alte Wunden. Denn unser Umgang mit Nähe und Distanz hat viel mit unserer Kindheit zu tun. Wer früh erfahren hat, dass Nähe gefährlich ist – etwa durch emotionale Vernachlässigung, Übergriffigkeit oder fehlendes Einfühlungsvermögen – der hat gelernt, sich zu schützen.
Was früher überlebenswichtig war, wird im Erwachsenenleben zum Stolperstein. Besonders in Liebesbeziehungen.
Intimität und Sexualität – zwei verschiedene Dinge
Ein häufiger Irrtum: Wer Sex hat, hat auch Intimität. Aber das stimmt so nicht. Viele Menschen erleben Sexualität, ohne sich dabei wirklich verbunden zu fühlen. Umgekehrt gibt es tiefe Intimität, ganz ohne körperliche Nähe.
Manche nutzen Sexualität, um schnell Nähe herzustellen – und sich gleichzeitig emotional nicht zu zeigen. Andere blockieren Sexualität, weil sie emotionale Intimität mit Angst verbinden. Gerade in Zeiten von Tinder, „Friends with Benefits“ und offenen Beziehungsmodellen verschwimmen diese Grenzen oft. Der Wunsch nach Nähe ist da – aber der Weg dahin wird immer unsicherer.
Die Folge: Wir leben in einer Gesellschaft, die Nähe will, aber sich vor echter Intimität fürchtet.
Wenn Intimität zum Problem wird – das Beispiel Borderline
Ein besonders eindrückliches Beispiel für die inneren Konflikte mit Intimität zeigt sich bei Menschen mit Borderline-Dynamiken. Sie sehnen sich nach tiefer Verbundenheit – und gleichzeitig schreckt sie genau das ab. Dieses ständige Pendeln zwischen „Komm her“ und „Geh weg“ zieht sich durch viele ihrer Beziehungen.
Sexualität wird dabei oft als Mittel genutzt: Sie dient dazu, schnell körperliche Nähe zu schaffen, ohne sich emotional zeigen zu müssen. Für einen Moment fühlt sich alles intensiv an. Doch danach kommt oft Leere, Scham oder Rückzug.
Hier zeigt sich: Intimität braucht mehr als Körper – sie braucht emotionale Sicherheit. Und genau die fehlt oft, wenn wir mit alten Ängsten und Beziehungsmustern kämpfen
Warum es so schwer ist, sich wirklich zu zeigen
Intimität bedeutet: Ich zeige dir, wer ich bin – auch mit den Teilen, die ich selbst manchmal kaum aushalte. Und ich hoffe, dass du bleibst. Dass du mich trotzdem annimmst. Dass ich okay bin.
Das macht Angst. Was, wenn du mich ablehnst? Wenn du meine Schwächen gegen mich verwendest? Wenn du gehst?
Deshalb haben viele Menschen unbewusste Schutzstrategien entwickelt:
- Sie reden über alles – außer über sich.
- Sie sind körperlich präsent, aber emotional abwesend.
- Sie flirten, verführen, provozieren – aber lassen niemanden nah ran.
- Oder sie bauen sofort intensive Nähe auf, nur um sich dann zurückzuziehen.
Diese Muster sollen uns vor Schmerz bewahren. Doch sie halten uns auch davon ab, echte Intimität zu erleben.

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Wie heilsame Intimität entstehen kann
Gute Beziehungen brauchen Intimität. Sie ist das Fundament für Vertrauen, Bindung und sexuelle Erfüllung. Doch sie entsteht nicht über Nacht. Sie wächst – langsam, manchmal schmerzhaft – aber sie lohnt sich. Was hilft auf dem Weg?
- Vertrauen aufbauen: Intimität braucht einen sicheren Rahmen.
- Grenzen spüren und respektieren: Nähe beginnt dort, wo man Nein sagen darf.
- Sich zeigen – Schritt für Schritt: Verletzlichkeit ist keine Schwäche, sondern Mut.
- Raum für echte Gespräche schaffen: über Gefühle, Ängste, Wünsche.
Auch in der Therapie – besonders in der Sexualtherapie und Paartherapie – geht es oft genau darum: einen Raum zu schaffen, in dem sich Intimität entwickeln darf.
Was das mit Sexualtherapie & Paartherapie zu tun hat
In der sexualtherapeutischen Praxis zeigt sich immer wieder: Hinter vielen sexuellen Problemen steckt ein tiefer Konflikt mit Intimität. Menschen können körperlich präsent sein – aber sich innerlich nicht einlassen. Oder sie erleben Sexualität als Druck, Pflicht oder Leere.
Hier hilft keine Technik, kein „Mehr vom Selben“. Es braucht ein Verstehen der Beziehungsdynamik: Warum fällt es so schwer, Nähe zuzulassen? Woher kommt die Angst vor Intimität? Und wie lässt sich ein neuer Umgang damit finden?
Sexualtherapie und Paartherapie, die diese Dynamik ernst nimmt, kann viel verändern – für Einzelne und für Paare.
Fazit: Intimität ist riskant – aber sie lohnt sich
Sich wirklich zu zeigen ist mutig. Es macht verletzlich. Aber es ist auch der einzige Weg zu echter Nähe, zu erfüllender Sexualität, zu lebendigen Beziehungen.
Wenn sie merken, dass Sie sich oft zurückziehen, blockieren oder gar nichts fühlen, kann das ein Hinweis auf einen alten Schutzmechanismus sein. Und das Gute ist: Diese Muster lassen sich verstehen – und verändern.