Körperbewusstsein und soziale Interaktion in der Therapie
In diesem Artikel befassen wir uns mit der Wirkungsweise von Körperpsychotherapie bei depressiven Verstimmungen und Depressionen. In den letzten 25 Jahren unserer praktischen Tätigkeit mit Klient*innen am Institut für Beziehungsdynamik hat sich die körperpsychotherapeutische Behandlung bei Depression als äußerst hilfreich erwiesen. Seit Herbst 2020 haben wir eine erhöhte Nachfrage nach therapeutischer Begleitung bei Depressionen festgestellt. Leider zeigen verschiedene Studien, dass depressive Symptome in allen Altersklassen in Deutschland zugenommen haben. In diesem Artikel zeigen wir die Möglichkeiten und Zusammenhänge zwischen Körperpsychotherapie und Depression.
Körperpsychotherapie bei Depression am Institut für Beziehungsdynamik
Wir am Institut für Beziehungsdynamik sind seit 2006 im Bereich Körperpsychotherapie, insbesondere bei Depressionen tätig. Unser Team unterstützt auch Sie gerne – melden Sie sich bei therapeutischen Fragen und Anliegen.
Unterstützung am Institut für Beziehungsdynamik Berlin – Online oder in Präsenz. Hier Kontakt aufnehmen.
Was ist eine Depression?
Depression ist eine häufige und ernsthafte psychische Erkrankung, die sich durch anhaltende Traurigkeit, Interessenverlust und eine Vielzahl anderer emotionaler und körperlicher Probleme auszeichnet. Zu den emotionalen Symptomen gehören anhaltende Traurigkeit oder Leere, der Verlust des Interesses oder der Freude an den meisten Aktivitäten sowie Schuldgefühle oder Wertlosigkeit. Betroffene können zudem Reizbarkeit oder Frustration empfinden, auch bei kleinen Angelegenheiten. Kognitive Symptome beinhalten Konzentrationsprobleme, Entscheidungsschwierigkeiten, Gedächtnisprobleme und Gedanken an Tod oder Selbstmord.
Symptome einer Depression
Auf physischer Ebene manifestiert sich die Depression häufig durch Müdigkeit und Energiemangel, Schlafstörungen wie Schlaflosigkeit oder übermäßiges Schlafen, veränderten Appetit und Gewichtsveränderungen sowie durch körperliche Schmerzen oder Beschwerden ohne klare Ursache.
Die Polyvagal-Theorie und der Zusammenhang zur Depression und Körperpsychotherapie
In unserer psychotherapeutischen Praxis hat sich gezeigt, dass die Polyvagal-Theorie eine klare Orientierung bietet, wie man hilfreich mit den Symptomen der Depression umgehen kann. Die Polyvagal-Theorie, entwickelt von Stephen Porges, bietet einen gut verständlichen Rahmen zum Verständnis der Verbindung zwischen dem autonomen Nervensystem und psychischen Zuständen wie Depression. Diese Theorie betont die Rolle des Vagusnervs und seine verschiedenen Äste bei der Regulierung von Emotionen und sozialem Verhalten.
Die Polyvagal-Theorie
Zentrale Aspekte des Zusammenhangs zwischen der Polyvagal-Theorie, Depression und Körperpsychotherapie
Drei Hauptsysteme des autonomen Nervensystems:
- Ventraler (vorderer) Vagus-Komplex (VVC): Dieser Zweig ist mit sozialem Engagement, emotionaler Regulierung und der Beruhigung des Körpers verbunden. Er unterstützt positive soziale Interaktionen und hilft, Stressreaktionen zu dämpfen.
- Sympathisches Nervensystem: Verantwortlich für die “Kampf-oder-Flucht”-Reaktion, aktiviert in stressigen oder bedrohlichen Situationen.
- Dorsaler (rückseitiger) Vagus-Komplex (DVC): Dieser Zweig ist mit immobilisierenden Reaktionen, wie dem Einfrieren bei extremem Stress oder Gefahr, verbunden. Er kann auch zur Dissoziation und zum Rückzug führen.
Wie ist die Verbindung zur Depression zu sehen?
- Verminderte VVC-Aktivität:
- Bei Menschen mit Depression ist oft eine verminderte Aktivität des ventralen Vagusnervs zu beobachten. Dies kann zu Schwierigkeiten bei der sozialen Interaktion, einem erhöhten Gefühl der Isolation und einer geringeren Fähigkeit zur emotionalen Regulation führen.
- Erhöhte dorsale Vagus-Aktivität:
- Eine Überaktivierung des dorsalen Vagusnervs kann zu Zuständen führen, die mit Depression in Verbindung stehen, wie extreme Erschöpfung, Rückzug und ein Gefühl der Lähmung oder Hilflosigkeit.
- Sympathische Überaktivierung:
- Chronischer Stress und die damit verbundene dauerhafte Aktivierung des sympathischen Nervensystems können die Erschöpfung der emotionalen Ressourcen fördern und depressive Zustände verschlimmern.
Welche praktischen Implikationen kann die Körperpsychotherapie als Behandlungsansatz bei einer Depression bieten?
Die zentrale Aktivität in der körperpsychotherapeutischen Behandlung liegt im sozialen Engagement-System, also im ventralen Vagus-Komplex. Dies wird beispielsweise durch körperliche Berührung erreicht, um die Atemtätigkeit bewusst wahrzunehmen und in den Unterbauch zu vertiefen, was das Nervensystem in der direkten Begegnung zwischen Therapeutin und Klientin entspannt. Oft geschieht dies im Stehen, damit der Körper bewegungsfähig ist und die Atmung besser wahrgenommen werden kann.
Die Kraft des sicheren, körperlichen Kontakts bei Depressionen
Menschen mit Depressionen scheuen häufig direkte soziale Interaktionen, da für sie bedrohliche Gefühle wie Scham, Trauer und Angst bewusst fühlbar werden könnten. Im sicheren Kontext und einer sicheren Umgebung bietet der direkte körperliche Kontakt jedoch die Chance, diese schwierigen Gefühle wahrzunehmen. Dies ist hilfreich, um die Aktivität des ventralen Vagus-Komplexes zu erhöhen. Gleichzeitig ist es eine Herausforderung, sich wieder auf soziale Aktivitäten einzulassen, die durch eine Depression vermieden werden. Im Rahmen einer körperpsychotherapeutischen Sitzung wird die Isolation unterbrochen, und es kommt zu einer spontanen emotionalen Einlassung. Dabei werden die Grenzen respektiert und es wird ein Hin- und Herbewegen zwischen Einlassung und Distanz ermöglicht. Ein Grundsatz ist, dass das Nervensystem zwischen Einlassung und Widerstand oder Rückzug hin und her pendelt. Dieses Pendeln ist wichtig, um das Nervensystem nicht zu überfordern.
Menschen mit Depressionen fühlen sich durch soziale Interaktion leicht gereizt, und es könnte sein, dass das Nervensystem dann in den dorsalen Vagus-Komplex umschaltet, um eine sympathische Überlastung zu regulieren.
Unsere körperpsychotherapeutische Erfahrung mit vielen Klient*innen zeigt, dass genau dieses Hin- und Herpendeln sehr hilfreich ist, um langsam eine kontinuierliche Regulierung des Nervensystems wiederzuerlangen.
Körpertherapeutische Atemtechniken bei Depressionen: Die Einatmung
Atemtechniken während der sozialen Interaktionen helfen, das Nervensystem zu regulieren. Menschen mit Depressionen haben häufig eine Überbetonung der Ausatmung. Der Körper fühlt sich schwach und erschöpft an. Diese Überbetonung der Ausatmung verstärkt dieses Gefühl, weil der Impuls der Einatmung fehlt. Somit fehlt auch die regulierende Kraft des sympathischen Nervensystems, welches zur Aktivierung des Körpers und des Kreislaufsystems führt.
Bei sozialer Interaktion mit körperlicher Berührung wird die erhöhte dorsale (rückseitige) Vagusaktivität heilsam reguliert. Der Mensch findet aus dem sozialen Rückzug wieder in eine Aktivierung der sozialen Interaktion und häufig beginnen die Augen wieder zu strahlen, während es zu einer Aktivierung der Atmung kommt.
Der Blickkontakt ist bei einer therapeutischen Interaktion von großer Bedeutung. Das soziale Engagementsystem wird über die Augen angesprochen und die erhöhte Aktivität des dorsalen Bereichs des Nervensystems wird gemindert. Die Gedanken an Rückzug und Isolation werden weniger, weil eine hilfreiche und sichere soziale Verbindung erlebt wird. Das Nervensystem lernt neu, sich einzulassen, und die Klient*innen fühlen wieder die Kraft, einer sozialen Interaktion standhalten zu können.
Stärkung der Psyche durch Körperpsychotherapie: Vertrauen, Selbstwahrnehmung und emotionale Stabilität regulieren Depression
Gefühle wie Angst und Scham nehmen ab und die positiven aggressiven Gefühle führen zu einer Stabilisierung der Psyche und des Körpers. Im Rahmen einer Körperpsychotherapie wird das Vertrauen in zwischenmenschliche Beziehungen gestärkt, was eine wesentliche Grundlage für die emotionale Stabilisierung darstellt.
Darüber hinaus fördert die körperpsychotherapeutische Behandlung die Selbstwahrnehmung und Achtsamkeit, was langfristig zu einem besseren Umgang mit Stress und emotionalen Belastungen führt. Langfristig kann die Integration dieser positiven Erfahrungen in den Alltag der Klient*innen zu einer nachhaltigen Verbesserung ihrer Lebensqualität beitragen und depressive Gefühle regulieren. Die Menschen werden wieder fähig, sich sozial einzulassen.
Was sind die Vorteile von Körperpsychotherapie bei Depression?
Die Vorteile von Körperpsychotherapie gegenüber einer reinen gesprächsorientierten Psychotherapie liegen in den Möglichkeiten, Atmung, Bewegung und Stimmausdruck einzubeziehen. Durch die bewusste Atmung regulieren die Klient*innen ihr Nervensystem selbstständig und nehmen die positiven Effekte der Atmung wieder wahr. Die Aktivierung der körperlichen Bewegung reduziert die Überbetonung des dorsalen Vaguskomplexes, sodass die Klient*innen die Aktivierung ihres Körpers wieder spüren können. Durch gezielte Berührungen, Muskelaktivierung und Massagen verspannter Muskeln wird die Vitalität direkt erfahrbar, ohne dass große gedankliche Anstrengungen nötig sind. Diese unmittelbare Erfahrung fördert ein Umlernen in der therapeutischen Begegnung und Beziehung.
Atmung, Bewegung und Stimmausdruck
Der Stimmausdruck spielt in der Körperpsychotherapie eine wichtige Rolle, um depressive Gefühle aus der Verdrängung ins Bewusstsein zu bringen. Die bewusste Kommunikation von Gefühlen und die Verbalisierung innerer Prozesse unterstützen die Rückkehr zur sozialen Interaktion. Die zusätzliche Aktivierung der Stimme kann helfen, die Lebendigkeit im Körper wieder zu spüren. Klient*innen erleben ihre Emotionen durch Atmung, Bewegung und Stimmausdruck als lebendige Impulse in einer sicheren Beziehung und Umgebung. Das Nervensystem ist durch diese Erfahrungen direkt beteiligt, und es erfolgt keine gedankliche Überlegung über mögliche Handlungen, sondern diese werden direkt ausgeführt und können positiv und hilfreich im Alltag angewendet werden. Im sicheren therapeutischen Raum werden körperliche Prozesse ausprobiert und in den Herausforderungen des Alltags integriert.
In der Körperpsychotherapie werden zudem muskuläre Verspannungen gelöst. Menschen mit depressiven Symptomen haben häufig einen schweren Brustkorb oder schwere Schultern, was zu Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule führen kann. Dies reduziert die Atmung, da sich der Brustkorb nicht frei bewegen kann. Wenn Muskeln, Bindegewebe und Knochenstrukturen durch körpertherapeutische Techniken gelockert und dynamisch bewegt werden, verbessert sich die Fähigkeit, den Körper aktiv zu bewegen und als kraftvoll und vital zu erleben. Dies führt zu einer erhöhten Motivation, sich weiter zu bewegen und möglicherweise sportlichen Aktivitäten nachzugehen oder Hobbys auszuüben, die mit Aktivität verbunden sind. Für Menschen mit depressiven Verstimmungen ist es sehr wichtig, sich sozial mit anderen Menschen aktiv zu erleben.
Studien zur Wirksamkeit von Körperpsychotherapie (KPT) bei Depressionen:
- Systematische Übersicht und Meta-Analyse: Eine umfassende Überprüfung, veröffentlicht in Frontiers in Psychiatry, analysierte die Wirksamkeit der Körperpsychotherapie über verschiedene Studien hinweg. Diese Übersicht ergab, dass KPT mittlere Effekte auf die Reduzierung von Psychopathologie und psychischem Stress bei Personen mit Depressionen hat. Die Autoren betonen jedoch die Notwendigkeit weiterer qualitativ hochwertiger Studien mit größeren Stichproben, um diese Ergebnisse zu untermauern (Frontiers).
- Randomisierte Kontrollstudie (RCT): Eine RCT von Röhricht et al. hob die positive Wirkung von KPT auf die Stimmungsverbesserung bei Patienten mit chronischer Major-Depression hervor. Die Studie zeigte, dass KPT eine vorteilhafte Behandlungsoption für Menschen mit langanhaltenden Depressionen sein kann und signifikante Verbesserungen ihrer depressiven Symptome bewirkte- (BioMed Central).
- Bouldering-Psychotherapie-Studie: Ein weiterer innovativer Ansatz, die Bouldering-Psychotherapie (BPT), die körperliche Aktivität mit therapeutischen Techniken kombiniert, zeigte vielversprechende Ergebnisse bei der Reduzierung von Depressionssymptomen. Ein Studienprotokoll, veröffentlicht im Trials Journal, skizziert die Methodik zur Bewertung der Wirksamkeit der Bouldering-Psychotherapie. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass Teilnehmer der BPT-Gruppe signifikante Verbesserungen der Depressionsschwere im Vergleich zu traditionellen Behandlungen erfahren (BioMed Central).
- Allgemeine Vorteile körperzentrierter Therapien: Die therapeutischen Vorteile körperzentrierter Ansätze, wie verbesserte emotionale Regulierung und reduzierter Stress, stimmen gut mit der von Stephen Porges vorgeschlagenen Polyvagal-Theorie überein. Diese Theorie erklärt, wie das autonome Nervensystem, insbesondere der Vagusnerv, emotionale und soziale Verhaltensweisen beeinflusst, die entscheidend für die Bewältigung von Depressionen sind. Eine erhöhte Aktivität des ventralen Vagusnervs durch soziale Interaktion und körperliche Therapien kann helfen, depressive Symptome zu mildern, indem sie die soziale Interaktion und emotionale Regulierung verbessern (Frontiers) (BioMed Central).