Über den Bereich der Sexualtherapie existieren verschiedene Mythen, die das Verhältnis von Menschen zu diesem wichtigen therapeutischen Themenfeld beeinflussen und verfälschen. Diesem Blogbeitrag wollen wir einige dieser Mythen über Sexualtherapie aufgreifen, kommentieren und verwerfen. Laut einer statista-Umfrage haben Erwachsene mehrmals pro Woche Sex.
Sexualtherapeut*innen wenden ganz bestimmte körperliche Übungen an
Oft kommen Klientinnen und Klienten zu uns ans Institut für Beziehungsdynamik, um sich in Bezug auf sexuelle Probleme und Störungen unterstützen und begleiten zu lassen. Nicht selten haben diese Menschen Vorerfahrungen in anderen therapeutischen Feldern gewonnen.
Manchmal kommt es in einer anderen Psychotherapie zu dem Punkt, an dem Sexualität plötzlich zum Thema wird. Manche Therapeut*innen empfehlen dann, eine Sexualtherapie in Anspruch zu nehmen, so dass es wirken kann, als wenn Psychotherapie und Sexualtherapie vollkommen unterschiedlich wären.
Für uns ist Sexualtherapie immer auch Psychotherapie! Denn für uns ist Sexualität keine körperliche Funktion, sondern beinhaltet immer auch mentale Vorgänge und Beziehungsprozesse. Daher müssen, aus unserer Sicht, psychotherapeutische Themen unbedingt einbezogen werden.
In der Beziehungsdynamischen Sexualtherapie ist diese psychotherapeutische Ebene unsere Basis. Auf dieser Basis bieten wir spezielle Übungen an, die es Paaren und Einzelklient*innen ermöglichen, neue und hilfreiche Erfahrungen zu gewinnen. Für uns sind körperliche Übungen ohne die innere und mentale Haltung unserer Klient*innen und Paare einzubeziehen, nicht zielführend.
Sexualtherapie gibt Tipps für ein besseres Funktionieren
Für uns am Berliner Institut für Beziehungsdynamik ist Sexualtherapie ein spezialisiertes Feld der Psychotherapie. Und in Psychotherapie gilt es, Klient*innen dazu einzuladen, die eigene Innenwelt so wie die eigenen verinnerlichten Widersprüche zu explorieren und anzunehmen.
Der Schlüssel zum Verständnis und zur Überwindung sexueller Probleme und Störungen liegt in der Innenwelt.
Psychotherapie, wie auch Sexualtherapie, geben grundsätzlich keine Hinweise, wie jemand besseren Sex haben könnte oder wie man seine Performance verbessern könnte.
Zwar lassen Therapeut*innen auch sog. psychoedukative Aspekte einfließen, indem bestimmte Sachverhalte erläutert werden oder auch begrenzte und einschränkende Informationen eines Klienten oder einer Klientin gezielt erweitert werden.
Manchmal kann auch ein Hinweis auf eine bestimmte sexuelle oder partnerschaftliche Praktik oder Spielart oder auch Vorgehensweise einen Klienten oder eine Klientin inspirieren, neue Wege zu denken und zu beschreiten.
Doch vorrangiges Ziel von Psychotherapie wie auch Sexualtherapie ist es, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.
Sexualtherapeut*innen bewerten, ob jemand normal oder pervers ist
Davon abgesehen, dass es unmöglich wäre, zu entscheiden, welches Verhalten oder welche Vorlieben normal oder auch anormal sind, zählt diese Art der Bewertung eindeutig nicht zu den Aufgaben von Sexualtherapeut*innen.
In einer Sexualtherapie, wie wir sie am Berliner Institut für Beziehungsdynamik anbieten, geht es darum, den Blick nach innen zu richten und sich selbst, so wie die eigenen Beweggründe und Widersprüche verstehen und akzeptieren zu lernen.
Oft bewerten Klient*innen sowie Paare sich selbst und ihre Verhaltens- und Erlebensweisen bereits selbst – oder anders gesagt sie werten sich ab. Demnach rechnen viele damit, dass Sexualtherapeut*innen oder Paartherapeut*innen es genauso machen.
Sexualtherapeut*innen pflegen in der Regel eine professionelle und neutrale Einstellung gegenüber ihren Klienten. Sie urteilen nicht über deren sexuelle Vorlieben, Orientierungen oder Praktiken. Ihr Ziel ist es, ihren Klient*innen dabei zu helfen, ein befriedigendes und erfüllendes Sexualleben zu erreichen, das ihren individuellen Bedürfnissen entspricht.
Wir am Berliner Institut für Beziehungsdynamik gehen davon aus, dass jeder Mensch in seiner gegenwärtigen Situation genauso handelt, wie es ihm möglich ist. Dies gilt es zu benennen und zu würdigen. Moralische Einschätzungen und Bewertungen sind niemals hilfreich, wenn es darum geht, Menschen sexual- und paartherapeutisch zu unterstützen.
Sexualtherapie hilft dabei, besser zu entspannen
Eine weit verbreitete Vorstellung ist, dass sexuelle Probleme und Störungen damit zu tun haben, dass jemand verspannt, angespannt oder unter Druck steht.
Zur Lösung werden in vielen Ratgebern, dieser Verspannungshypothese gemäß, Entspannungsmethoden empfohlen und vermittelt. Entspannung ist sicherlich nie verkehrt, doch unserer Auffassung nach hat „Verspannung“ auch Vorteile, die es zu würdigen gilt. Hinter muskulären Verspannungen verbergen sie sich in der Regel mentale Blockaden.
Oder sie dienen dazu, Emotionen zu kontrollieren und zurückzuhalten. Damit hat aus unserer Perspektive jede Verspannung auch einen schützenden Effekt. Diese Schutzfunktion gilt es zu würdigen, andernfalls wird man sie nicht loslassen oder verändern wollen.
Hinter Verspannungen halten wir in der Regel Ängste zurück – Ängste vor Beziehungen, vor dem Leben und der Unvorhersehbarkeit in unserem Leben.
In der Beziehungsdynamischen Paar- und Sexualtherapie ist unser Ziel, ganzheitliche Akzeptanz auch der eigenen inneren Widersprüche zu fördern. Entspannung ist dann zumeist die Folge, wenn ein Mensch sich selbst akzeptieren und auch liebevoll betrachten kann.
Sexualtherapie hilft dabei, besseren Sex zu haben
In der Beziehungsdynamischen Sexualtherapie, unserem therapeutischen Ansatz am Berliner Institut für Beziehungsdynamik, gehen wir davon aus, dass Sexualität ein Kommunikationskanal ist.
Vielfach haben wir entweder nicht gelernt, diesen Kanal zu nutzen oder wir wollen diesen einfach nicht mehr nutzen, weil wir insgeheim die damit einhergehenden Emotionen und Zustände nicht mehr erleben möchten.
In der Beziehungsdynamische Sexualtherapie steht diese Kommunikation im Fokus und wir untersuchen gemeinsam, was einen Menschen daran hindert, sexuell zu kommunizieren. Dabei ist unser Ziel nicht vorrangig, guten Sex zu erreichen oder die eigene Sexualität facettenreicher und vielfältiger zu gestalten.
Dies passiert zumeist automatisch, wenn Menschen wieder Lust bekommen, sexuell zu kommunizieren und sich auszudrücken.
Wenn die eigene Selbstbeziehung oder die Beziehungen zu anderen wieder durch sexuelle Spielfreude gekennzeichnet ist, dann beginnen Menschen selbstverständlich automatisch, sich tiefergehend einzulassen und mit ihren emotionalen Facetten zu zeigen.
Guter Sex ist nicht das Ergebnis bestimmter Techniken und Methoden, guter Sex ist dann die Folge
Sexualtherapie ist nur für Paare gedacht
Während viele Menschen sich mit ihrem Partner in Paartherapie begeben, um ihre sexuellen Probleme anzugehen, können auch Einzelpersonen von Sexualtherapie profitieren.
Viele Themen, wie sexuelle Dysfunktionen, sexuelle Unsicherheiten oder Fragen zur sexuellen Identität, zeigen sich unabhängig von Partnerschaften und können gut in Einzeltherapien bearbeitet werden.
Auch kann es sein, dass eine Person zeitweise gar nicht mit einem Partner oder einer Partnerin zusammen ist und sich durch sexuelle Probleme daran gehindert erlebt, einen neuen Partner oder eine neue Partnerin zu finden. In diesem Fall ist eine Sexualtherapie als Einzelperson selbstverständlich angezeigt und möglich.
Sicherlich ist es bei vielen sexuellen Problematiken sehr förderlich, wenn zur Überwindung sexueller Probleme Übungen gemeinsam mit einer Partnerin oder einem Partner gemacht werden können.
Wenn dieser Partner allerdings nicht zur Verfügung steht, weil er entweder gar nicht vorhanden ist oder sich nicht an den Übungen beteiligen möchte, dann ist selbstverständlich auch eine Therapie im Einzelsetting möglich.
Auch für Einzelpersonen gibt es sehr effektive Übungen und Methoden, um sexuelle Dysfunktionen zu überwinden. Für Männer, die unter vorzeitiger Ejakulation leiden, habe ich ein Buch mit einigen Übungen veröffentlicht.
Sexualtherapie ist nur für Menschen mit schwerwiegenden Problemen
Dies ist einer der häufigsten Mythen. Viele Menschen haben das Vorurteil, dass Sex eigentlich etwas ganz Natürliches sein sollte, das einem quasi im Blut liegt, und dass jemand, der sich mit seinem eigenen Nicht-Funktionieren auseinandersetzen möchte, besonders schwer gestört sein muss.
Tatsächlich ist dies nicht der Fall. Es gibt eine sehr große Anzahl an Menschen, die unter verschiedenen sexuellen Dysfunktionen (wie zum Beispiel Erektionsprobleme, Vorzeitige Ejakulation, Vaginismus, Dyspareunie, Unlust oder Hypersexualität) leiden, in anderen psychischen Bereichen allerdings vollkommen handlungsfähig und sozial erfolgreich agieren.
Sexualität ist eben ein besonderer Bereich unseres Lebens, der für jedem Menschen mit unterschiedlicher, subjektiver Bedeutung einhergeht. Und in diesem Bereich inneren Schwierigkeiten zu begegnen, kann auch bedeuten, dass man besonders sensibel ist und dass einem intensive und intime Begegnungen und Beziehungen besonders wichtig sind.
Sexualtherapie ist peinlich oder unangenehm
Obwohl es für manche Menschen zunächst unangenehm sein kann, über ihre sexuellen Probleme zu sprechen, sind Sexualtherapeut*innen speziell ausgebildet, um ein unterstützendes und nicht urteilendes Umfeld zu schaffen. Zudem sollten Sie eigentlich dazu in der Lage sein, unaufgeregt und natürlich über Sexualität und über gestörte Sexualität zu sprechen.
Selbstverständlich respektieren Sexualtherapeut*innen die Privatsphäre und Vertraulichkeit ihrer Patient*innen und arbeiten daran, ein Gefühl der Sicherheit zu schaffen.
Aber: Sexualtherapeut*innen sind natürlich nicht unfehlbar, machen auch Fehler und haben auch eine eigene persönliche Geschichte, die es Ihnen nicht immer leicht macht, den Erzählungen und Berichten ihrer Klient*innen zu folgen.
Nichtsdestotrotz kann es natürlich peinlich und schamvoll sein, über eigene Tabus, persönliche Vorstellungen und sexuelle Spielarten oder auch über die eigenen, sexuellen vermeintlichen Schwächen zu sprechen. So kann es Momente geben, in denen es sich in einer Sexualtherapie tatsächlich peinlich oder unangenehm anfühlt.
Und gerade hier liegt eine große Chance, sich mit den Unsicherheiten und schamvollen Seiten zu zeigen und damit auch zu entlasten. Das Peinliche und Unangenehme hat zumeist nichts mit dem Thema selbst zu tun, sondern mit der Beziehung, die ein Mensch dazu innerlich einnimmt.
Jeder Moment der Scham ist also auch eine Chance, etwas über sich herauszufinden und einen inneren Teil von sich wiederzuentdecken, der lange verschüttet war oder den man lange verleugnet und ferngehalten hat.
Sexualtherapie ist ineffektiv
Obwohl nicht viele Menschen bisher reale Erfahrungen mit dem Bereich Sexualtherapie gemacht haben, hält sich bei einigen das Vorurteil, dass Sexualtherapie nichts oder wenig bringen würde.
Bei Männern, die unter vorzeitiger Ejakulation leiden, nennt eine Studie (zit. nach Hartmann 2018) folgende Zahlen: nur 9 % aller betroffenen Männer haben angeblich bisher professionelle Hilfe in Anspruch genommen bzw. aufgesucht. Davon sollen 81 % nach Inanspruchnahme zur Erkenntnis gelangt sein, dass dieser Therapieversuch wenig bis gar nicht hilfreich gewesen sei.
Wollen wir diese Zahlen oder dieses Vorurteil verstehen, dann sollten wir folgende Aspekte in Betracht ziehen:
Zum einen scheint es gar nicht so einfach zu sein, einen qualifizierten oder eine qualifizierte Sexualtherapeut*in zu finden. Dies gilt insbesondere in schlecht versorgten Regionen, doch auch in vielen Städten herrscht eine große Versorgungslücke.
Dadurch ist selbstverständlich der erste Ansprechpartner häufig ein Arzt oder eine Ärztin. Diese sind gemäß ihrer Profession sehr gut qualifiziert, haben allerdings gerade im Hinblick auf die psychologische und psychotherapeutische Seite sexueller Störungen wenig bis keine Ahnung.
Auf der anderen Seite kann es auch so sein, dass Menschen, die unter sexuellen Störungen leiden, mit bestimmten Vorstellungen in Therapie kommen. Zum Beispiel gehen viele davon aus, dass ein*e Sexualtherapeut*in bestimmte Übungen vorschlagen würde, die es dann nur noch auszuführen gilt, will man sein Problem überwinden.
Oder auch, dass ein Sexualtherapeut oder eine Sexualtherapeutin den Grund der Störung identifiziert und daraufhin eine Heilung quasi automatisch einsetzt. Besucht man mit dieser Haltung eine Sexualtherapie, dann ist sicherlich leicht verständlich, dass diese als ineffektiv wahrgenommen wird, wenn diese impliziten Erwartungen nicht erfüllt werden.