Vorher waren wir, teilweise Arm in Arm oder Händchen-haltend durch London geschlendert. Wir hatten ein gemeinsames Hotelzimmer mit 2 getrennten Betten, ich hätte viel zu viel Angst gehabt, in einem Einzelzimmer zu schlafen, schließlich war ich zum 1. Mal in der fremden Welt unterwegs, es war auch mein 1. Hotelaufenthalt. Für mich war diese Reise das große Abenteuer.
Wir waren also im Zimmer, als mein Vater mich in den Arm nahm und mich an sich drückte. Dann drückte er mich auf das Bett, streichelte mich und rieb sich an mir. Er schmiegte sich mit seinem Kopf an meinen Bauch an und arbeitete sich zu meinem Brust- und Halsbereich hinauf. Jetzt war ich richtig im Zwiespalt. Ich bin komplett erstarrt, war wie gelähmt, unfähig ein Wort herauszubringen. Ich habe meinen Vater bewundert, tief geliebt und ich glaube sogar auch begehrt. Da ich jedoch noch keine Erfahrungen mit Jungs hatte, war es eher ein unschuldiges und unspezifisches Begehren. Auf der anderen Seite meldete sich die Moral- ich wusste aus Märchen und Geschichten, dass körperliche Liebe zwischen Eltern und Geschwistern verboten war, weil dabei behinderte Kinder herauskommen würden. Der eine Teil von mir wollte sich hingeben, der andere Teil sagte, dass darfst du nicht, das ist doch verboten, das kann schreckliche Folgen haben. Im Spannungsfeld dieser beiden Anteile war ich handlungsunfähig und sprachlos. Der unlösbare Widerspruch ließ mich erstarren. Ich wurde steif wie ein Brett, fühlte mich wie gelähmt und konnte die Berührungen meines Vaters weder erwidern noch abwehren. Zeitgleich wollte ich mich ihm hingeben und ihn wegdrücken. Kurzschluss. Ich war wie gelähmt und in mir rasten die Gedanken: das darfst du nicht, hör auf, das dürfen wir nicht tun. Ich glaube, ich suchte auch danach, wie ich mich angemessen ausdrücken sollte, ich wollte ihn ja nicht wirklich von mir stoßen oder verletzen oder zurückweisen. Ich suchte nach einer Lösung für meinen Zwiespalt: wie konnte ich ihm klar machen, dass ich glaubte, das man das nicht darf? Warum wusste er das nicht? Ich hatte ihm bis dahin bedingungslos vertraut und geglaubt. Warum tat er das? Wollte er uns beide ins Verderben stürzen? Ich war mir nicht sicher, vielleicht war ich ja auch im Unrecht. Ich wusste nicht, was ich glauben sollte, wie ich mich verhalten sollte, was ich sagen sollte. Irgendwann brachte ich dann doch ein paar Worte heraus, sowas wie: ich weiß nicht, ob das richtig ist, was wir da machen. Da ließ er erschrocken von mir ab. Es war so, als wenn er in Trance gewesen war und ich ihn mit meinen Worten aufgeweckt hatte.
Beim Schreiben fällt mir interessanterweise auf, dass ich den wesentlichen Aspekt dieser Situation bis dato noch nicht erkannt hatte. Das Hauptproblem in dieser Situation war ja nicht der angedeutete sexuelle Missbrauch, sondern, neben dem bereits erkannten Vertrauensmissbrauch, vor allem der innere Konflikt zwischen: Darf ich oder darf ich nicht? Tue ich das Richtige oder das Falsche? Werde ich bestraft, wenn ich meinen sexuellen Gefühlen folge? Ein Konflikt, den ich auch immer wieder mit meinen Beziehungspartnern durchspiele. Und ich habe sofort Schuldgefühle, wenn ich sexuelle Gefühle zu anderen Männern entwickle und die Angst, dafür bestraft zu werden.“