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Seminar: Meine Mutter in mir 2014- Ein Erfahrungsbericht

Die zuvor gestellte Hausaufgabe für das Seminar (30 Minuten meditieren und aufgekommene Gedanken zum „Mutter-Thema“ verschriftlichen), habe ich am gleichen Tag noch schnell hinter mich gebracht. Kurz vor dem ersten Seminartag denke ich immer: warum mache ich das eigentlich? Dieser enorme Zeit-und Kostenaufwand und die emotionalen und sozialen Herausforderungen…

Jedoch schon, wenn ich die schönen und praktischen Seminar-Räumlichkeiten betrete, werden Emotionen in mir wachgerufen, die ich noch schaffe zu unterdrücken. Hier ist der Ort, wo alle Emotionen raus dürfen und alle Blockaden langsam überwunden werden können. Das passiert mir bewusst und auch oft sehr unbewusst.

Bekannte und unbekannte Gesichter entdecke ich. Die, die ich kenne, umarme ich, umarmen mich. Die Stimmung ist von Anfang an wohlwollend freundlich. Die Gruppe ist vom Alter und der Herkunft gut durchmischt.

Zur ersten Auflockerung wird sich bewegt/getanzt, jeder für sich, wer will mit geschlossenen Augen. Die Emotionalität kriecht weiter in mir hoch. Es brechen kleine Tränen aus.

Die ersten Fragen werden an die Gruppe gestellt: Wer hat wie oft Kontakt mit seiner Mutter, wie ist dieser Kontakt qualitativ, wer ist selbst Mutter, wie wird diese Mutter-Kind-Beziehung eingeschätzt etc..

Danach gibt es Zeit für 2-er Interviews zum Thema Mutter, generationsübergreifende Themen, Frauenbild/Männerbild in der Familie etc.

Ich freue mich, dass ich verbal und kognitiv meiner Partnerin offen gegenüber sein kann. Am Anfang bin ich noch etwas unter Tränen. Zeitweise denke ich, was jetzt wohl mein Gegenüber von mir und meinen Geschichten denken mag, aber das ist unwichtig. Jede hat ihre Geschichten, die sie mehr oder weniger beschäftigt, sonst wäre keine von ihnen hier.

Danach wird gemalt; zwei Bilder, eins von der Mutter und eins von uns in Beziehung zu ihr. Für mich eine Herausforderung, habe ich doch schon lange nicht mehr gemalt und habe es auch bis dahin nicht vermisst. Eigentlich möchte ich meiner Mutter gar keine Bedeutung beimessen und sie am besten gar nicht oder gaaanz klein malen. Zum Schluss hat es mir doch Spass gemacht, so dass ich fast kein Ende finden konnte.

In einer abschliessenden Gesprächsrunde teilen sich die Frauen über ihre Situationen und Gefühle mit. Mir fällt auf, dass die etwas älteren Frauen ein drängenderes Bedürfnis an Klärung ihres Mutter-Themas haben, da ihre Mütter in ihrer letzten Lebensdekade sind. Es wird geweint und jede auf ihre Weise ist von den einzelnen Geschichten berührt.

Es erwarten uns zwei weitere intensive Tage, die ich mit Respekt, Vorfreude und etwas Angst erwarte, aber zuerst flüchte ich schnell ohne mich groß zu verabschieden nach Hause.

Tag 2 bricht an. Ich begrüße jeder Frau einzeln, weil ich ihr meine emotionale Wertschätzung so zeigen möchte. Es beginnt wieder mit ein paar körperlichen Lockerungsübungen.

Dann kommt es zu einer schwierigen Aufgabe. Wir sollen unsere eigene Mutterstatue körperlich mit einer Partnerin anhand von Gesten und Körperhaltungen formen. Meine Interviewpartnerin vom Vortag beginnt mich als ihre Mutterstatue zu formen. Sie nennt mir typische Sätze von ihrer Mutter, die ich wiederhole, um die Situation authentischer zu gestalten. Ich versuche mich in die Mutterrolle hineinzuversetzen, was mir nicht so schwer fällt, da ich selbst Mutter bin. Ich spüre die Machtrolle, die man als Mutter hat und die ich oft im realen Leben bewusst und unbewusst ausspiele. Dieses Bewusstsein erschreckt mich etwas. Vor mir steht sinnbildlich ein kleines Mädchen, das einfach nur geliebt werden will und ich habe es allein in der Hand es zu trösten, es lieb zu haben, ihm Zuspruch, Kraft, Liebe und Geborgenheit zu geben. Mein Impuls gibt dem kleinen verletzten Mädchen in der erwachsenen Frau das alles, körperlich, emotional. Mir geht es dabei gut und ich geniesse die Nähe, nicht selbstverständlich für mich.

Nebenbei höre ich Schreien, Weinen, Satzfragmente von den anderen; sehr viel Power, sehr viele Gefühle, die raus wollen und wahrgenommen werden wollen.

Ich selbst spüre nur extreme körperliche Abwehrreaktionen, Aggressionen meiner Mutter-Statue gegenüber. Es tut mir gut, laut und wild sein zu dürfen. Wut, Verzweiflung, Unmut führen letztendlich zur zarten Annäherung und dem Bedürfnis nach Nähe.

Ein weiterer Bestandteil sind aufstellungsähnliche Prozesse vor der Gruppe. Anhand des gemalten Bildes erklärt die Frau, die das möchte, ihre Mutter-Tochter-Dynamik. Sie sucht darauf eine Vertreterin für ihre Mutter und ggf. Anteile in ihr aus. Daraus entstehen Konflikte, die auf verschiedenste Weise gelöst werden.

Diese Prozesse berühren die Gruppe und auch mich sehr. Diese geballte Authentizität, mit all ihren wahren Gefühlen, lösen weitere Wellen von Gefühlen aus.

Gegen Ende des späten Abends wird ausgelassen zusammen getanzt, was sehr viel Spass macht und mir zeigt, wie lebendig ich, meine Mitmenschen und das Leben sein kann. Beschwingt entschwinde ich in die Nacht.

Am letzten Tag liegt der Schwerpunkt im Schreiben eines Briefs, den wir uns von unserer Mutter wünschen würden. Erste Blockaden machen sich in mir breit. „Das würde sie sowieso nicht tun, sie versteht das alles eh nicht etc..“ Doch ich fange an zu schreiben und es ist irgendwie heilsam, sich in seine Mutter hineinzuversetzen und zu artikulieren, was ich brauche.

Danach besteht die Möglichkeit den Brief der Gruppe vorzulesen. Ich habe Lust dazu und verbales und nonverbales Feedback von den Frauen zu bekommen. Es ist ein direktes sich öffnen und zeigen können mit meinen positiven und negativen Seiten. Die Gruppe bestärkt mich irgendwie unbewusst, dass ich auf dem richtigen Weg bin und das gibt mir unendlich viel Energie.

Die Geschichten der anderen nehmen mich und die anderen ebenso mit, mal mehr, mal weniger. Im Endeffekt wollen wir alle nur, ob symbiotisch oder distanziert, von unserer Mutter bedingungslos geliebt und/oder respektiert werden und lernen damit umzugehen, wenn das eben nicht der Fall ist.

Unbewusst fange ich an zu vergleichen, eine leider völlig nutzlose und destruktive Vorgehensweise: So krass wie bei x war meine Mutter zum Glück nicht oder umgekehrt, dafür waren andere Mütter nicht so gefühlskalt wie meine etc.

Erstaunlicherweise kann ich für jedes Verhalten von anderen Müttern Erklärungen und Entschuldigen finden, vielleicht rational auch für meine eigene, aber emotional noch nicht. Ich weiss aber jetzt, dass meine angestauten Gefühle raus wollen und ich meine Haltung meiner Mutter gegenüber artikulieren darf, auch wenn es die von mir gewünschte Reaktion nie geben wird.

Durch die Offenheit der anderen und von mir, entstehen Dialoge, die ich als emotionale Erkenntnis mit nach Hause nehme. Ich bin ja auch Mutter und habe meinem Sohn bewusst und unbewusst vielleicht schon ähnliche Dinge angetan, wie die Töchter hier berichtet haben, vielleicht noch nicht in dem Ausmass, da er noch klein ist, aber auch in unserer Beziehung haben sich ungesunde Dynamiken eingeschlichen. Aber es ist nie zu spät genau hinzusehen, hinein zu spüren und andere Perspektive einzunehmen um diese Dynamiken von Macht, Liebe, unkontrollierten Gefühlen und Erwartungen zu durchbrechen. Die beschriebenen Dynamiken der anderen Frauen weisen mich unbewusst darauf hin.

Dank der Stimmung, die neben sehr tiefen Gefühlen auch zum Glück immer wieder von erfrischenden Humor in einer perfekten Balance geprägt war, behalte ich das Seminar im Herzen. Auch die Seminarleiterinnen haben wesentlich mit ihrer Offenheit und ihrem Einfühlungsvermögen dazu beigetragen. Es waren große und kleine Momente, die mich aufgewühlt haben, wie zum Beispiel liebevolle Umarmungen, bewegende Offenbarungen oder ein wirbelnder kindlicher Zweiertanz.

Am Abend zu Hause überkommen mich Gefühle, dass ich in diesen drei Tagen mehr Geborgenheit und Liebe von den Frauen bekommen habe als eine ganze Kindheit lang von meiner Mutter. Das mag vielleicht objektiv nicht stimmen, aber es gibt mir liebevolle Energie, dass so viel in mir steckt, was ich an Liebe noch geben und nehmen möchte.